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Pressemitteilung zum Anhalten des ICE am 13.11.02 vor der Gruppe von Castorgegnern in Lüneburg

WOLFRAM PLENER
RECHTSANWALT
Rote Straße 10 a
21335 Lüneburg

Tel.: 04131/403500
Fax: 04131/404489

An die Redaktion
der Landeszeitung

per Fax an:
Datum: 15.11.02

Pressemitteilung

zum Anhalten des ICE am 13.11.02 vor der Gruppe von Castorgegnern in Lüneburg

Sehr geehrte Damen und Herren,

Die Polizei verbreitet eine offensichtlich falsche Darstellung über den Vorgang, die dazu dient, die Aktion als lebensgefährlich hinzustellen, was sie tatsächlich nicht gewesen ist, und die Castorgegner zu kriminalisieren. Als anwaltlicher Vertreter von Betroffenen sehe ich mich zu folgender Richtigstellung veranlasst:

1. Der ICE ist nicht, wie dargestellt wurde, in letzter Sekunde durch eine Notbremsung zum Stehen gekommen. Richtig ist, daß der Lokführer in ausreichendem Abstand vor der Örtlichkeit eine Betriebsbremsung vorgenommen hat. Der Zug kam ca. 400 m vor der Stelle zum Stehen, an der sich die Gruppe der Aktivisten befunden hatte.

2. Als der Zug herannahte, befand sich keiner der Demonstranten auf den Gleisen. Alle standen neben den Gleisen, weil sie den Zug natürlich gesehen hatten.

3. Das in der Presse veröffentliche Foto von auf dem Gleis sitzenden Demonstranten wurde erst aufgenommen, nachdem der Zug bereits eine Zeit stand.

4. Es waren von dem Bundesgrenzschutz bereits zwei Streckenposten an der passenden Stelle postiert, die rote Signaljacken trugen. Der Zug war aber bereits deutlich verlangsamt, als er sich dem ersten Posten, der etwa in 700 m Entfernung zu der Gruppe stand, sich näherte. Der Zug ist dann mit deutlich verlangsamter Geschwindigkeit an diesem Posten vorbeigefahren und kam zum Stehen. Es war weder von den Polizeiposten noch von den Demonstranten zu irgendeinem Zeitpunkt jemand konkret gefährdet.

5. Die Polizei hatte zunächst in einem Vermerk der Gefangenensammelstelle für das Gericht angegeben, der Zug sei aus einer Geschwindigkeit von 140 km/h mit einer Notbremsung zum Stehen gebracht worden. Gegenüber der Presse hatte die Polizei später angegeben, daß der Zug mit 110 km gefahren sei. Auch das wäre eine Geschwindigkeit, die deutlich unter der normalen Reisegeschwindigkeit eines ICE liegt. Daraus hervor, daß der Zug bereits verlangsamt war.

6. In seiner Presseerklärung vom 13.11.02 hat der Pressesprecher Frohns der Deutschen Bahn AG dementiert, daß der Zug die von der Polizei angegebene Notbremsung durchgeführt habe. Ferner hat der Sprecher erklärt, daß die Deutsche Bahn AG auf Störungen auf dieser Strecke an diesem Tag vorbereitet gewesen sei.

7. Schon als sich die Demonstranten zu Fuß auf die Gleise zu bewegten sind sie von Hubschraubern, die direkt über ihnen kreisten observiert worden. Den Fußgängern sind Einsatzfahrzeug der Polizei und des BGS mit Besetzung direkt gefolgt, ohne daß die Beamten eingegriffen hätten.

8. Als sie die Gleisanlagen erreichten, war kein Zug zu sehen. Die Strecke verläuft gradlinig und ist weit einsehbar. Es haben die Polizeibeamten, die hinzukamen auch nicht mit Einsatz massiver Mittel reagiert, um die Demonstranten vom Platz zu vertreiben. Die Angelegenheit verlief undramatisch.

9. Nach Auswertung der von den Betroffenen zusammengetragenen Beobachtungen und Recherchen hatte die Polizei einen verdeckten Ermittler (Deckname "Bruno Lohmann") angesetzt, der sich am Vorabend einer Gruppe angeschlossen hatte und sich bis zuletzt unter den Demonstranten befand. Er wurde auch zusammen mit den anderen Personen auf das Gelände der Polizei verbracht, ist dort aber als einziger nicht mehr in der Gefangenensammelstelle aufgetaucht, ohne daß es eine Erklärung dafür gab. Die Überprüfung ergab, daß die Angaben über seine Person einschließlich Adresse und Telefonnummer falsch waren.

10. Wenn die Polizei vorab unterrichtet wurde, war der Vorgang für sie eine bekannte Sache, über deren Verlauf sie bereits im Bilde war.

11. Aufgrund ihrer Aufklärungsarbeit wäre die Polizei in der Lage gewesen, die Aktion von Anfang an zu verhindern. Da sie das nicht tat, drängt sich der Eindruck auf, daß die Polizei die Aktion gewollt hat ablaufen lassen.

12. Die Öffentlichkeit hat gemeinhin den Eindruck gewonnen, daß sich hier Castorgegner verantwortungslos und unter Gefährdung des eigenen Lebens und des Lebens der Bahnreisenden in schwer vorwerfbarer Weise gehandelt hätten. Das ist falsch. Die Demonstranten haben in der Situation besonnen so gehandelt, daß eine Gefahr ausgeschlossen war. Auf der anderen Seite, waren ausreichend Einsatzkräfte vor Ort, die die Aktion sofort hätten unterbinden können. Die Polizisten haben sich jedoch der Situation angemessen zurückhaltend verhalten.

13. Da die Polizei die Beobachtungen aus der Luftaufklärung bereits 10 - 15 Minuten vor dem eigentlichen Vorfall gemacht hatte, die anrückenden Demonstranten zum Teil von Einsatzkräften begleitet wurde und zudem ein Warnanruf erfolgte, ist auch davon auszugehen, daß der Lokführer des ICE nicht nur generell auf Störungen vorbereitet, sondern konkret über die Situation durch den Streckenfunk informiert war, als er sich dem Einfahrtsbereich von Lüneburg näherte.

In Kenntnis dieser Umstände wirkt die Dramatisierung der Situation als abgekartetes Spiel und insbesondere die Belobigung der beiden Polizeibeamten, die durch ihren gefährlichen persönlichen Einsatz den ICE "in letzter Sekunde" zum Stehen gebracht haben sollen, als fragwürdig.

Mit freundlichen Grüßen

- Plener -
Rechtsanwalt
(ohne Unterschrift, da Computerfax)