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Pressemitteilung vom 27.11.02 zum ICE-Stopp in Lüneburg am 13.11.02 durch Castor-Gegner/ Einsatz eines verdeckten Ermittlers durch den Bundesgrenzschutz
WOLFRAM PLENER
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27.11.02

Pressemitteilung zum ICE-Stopp in Lüneburg am 13.11.02 durch Castor-Gegner/ Einsatz eines verdeckten Ermittlers durch den Bundesgrenzschutz

Am 25.11.02 hat der Pressesprecher Andreas Bebensee des Bundesgrenzschutzpräsidiums Nord in Bad Bramstedt eingeräumt, daß ein BGS- Beamter verdeckt in der Gruppe der Castor-Gegner eingesetzt war, denen das Anhalten des ICE in der Nähe von Lüneburg im Rahmen einer Protestaktion vorgeworfen wird.

Auf Nachfrage erklärte der Pressesprecher Bebensee gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk in Hannover am heutigen Tage, daß der Beamte nicht als "verdeckter Ermittler" eingesetzt gewesen sei, sondern angeblich als ziviler Aufklärungsbeamter in der Gruppe tätig gewesen sei.

Als rechtlicher Vertreter der Betroffenen sehe ich mich dazu zu folgender Stellungnahme veranlaßt:

Angesichts der gesetzlichen Regelungen, die den Einsatz verdeckter Ermittler auf bestimmte enge Voraussetzungen beschränken, erscheint eine rein sprachliche Unterscheidung nach "zivilem Aufklärungsbeamten" und "verdecktem Ermittler" nicht zulässig. Der "zivile Aufklärungsbeamte" ist keine Rechtsfigur, die das Bundesgrenzschutzgesetz oder die Strafprozeßordnung kennen würden. Vielmehr ist der Einsatz verdeckter Ermittler in den §§ 110a und 110b StPO klar geregelt. Danach dürfen verdeckte Ermittler zur Aufklärung von Straftaten nur eingesetzt werden, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegen, insbesondere zur Aufklärung von Verbrechen. Der Einsatz ist auch nur zulässig, soweit die Aufklärung auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Zur Aufklärung von Verbrechen dürfen verdeckte Ermittler außerdem eingesetzt werden, wenn die besondere Bedeutung der Tat den Einsatz gebietet und andere Maßnahmen aussichtslos wären.

Nach § 110 b StPO ist der Einsatz eines verdeckten Ermittlers erst nach Zustimmung der Staatsanwaltschaft zulässig. Außerdem bedürfen Einsätze, bei denen der verdeckte Ermittler eine Wohnung betritt, die nicht allgemein zugänglich ist, der Zustimmung des Richters.

Der BGS hat bisher weder bestätigt, daß die Zustimmung der Staatsanwaltschaft noch eine Erlaubnis des Gerichts vorgelegen habe. Bekannt ist jedoch, daß sich der verdeckte Ermittler im Rahmen eines Einsatzes auch in eine Privatwohnung begeben und dort übernachtet hat.

Außerdem ist, worauf Riegel in seinem Kommentar zum Bundesgrenzschutzgesetz (Aufl. 1996, § 28 Randnr. 17) ausdrücklich hinweist, der Einsatz verdeckter Ermittler im Bundesgrenzschutzgesetz nicht vorgesehen. Eine solche Maßnahme ist grundsätzlich Angehörigen der Landespolizei vorbehalten. Für den Bundesgrenzschutz gilt diese Ermächtigung nicht. Gleichwohl hat der hier zum Einsatz gekommene Beamte alle Merkmale erfüllt, die nach der vorangestellten Beschreibung für die Tätigkeit des verdeckten Ermittlers in einer Gruppe typisch sind.

Diese bestehen nach der Kommentierung von Riegel (a.a.O.) darin, daß polizeiliche Kontaktbeamte versuchen, unter einer Legende Mitglieder in Gruppen zu werden oder mit Personen in Kontakt zu kommen, von denen vermutet wird, daß von ihnen schwere Straftaten ausgehen oder drohen. Der verdeckte Ermittler gibt sich als solcher nicht zu erkennen, um eine Observation aus der Gruppe heraus durchzuführen, bis genügend Beweise vorliegen um weitere Maßnahmen insbesondere exekutiver Art, wie zum Beispiel Festnahmen, durchführen zu können. Hierzu kann es notwendig sein, daß der verdeckte Ermittler zumindest bestimmte Aktivitäten der betreffenden Personen oder Personen Gruppe mit macht oder vorgibt, dies zu tun. Ziel des verdeckten Ermittlers ist es an sich, für die anderen als echter Mittäter zu gelten.

Alles das trifft hier zu. Der Bundesgrenzschutz hat damit seinen gesetzlichen Handlungsspielraum verlassen. Der Einsatz des Bundesgrenzschutzbeamten war vom Gesetz nicht gedeckt und ist daher als illegal zu bezeichnen.

Wenn man der Erklärung des Bundesgrenzschutzes folgen wollte, daß der Beamte als sogenannter ziviler Aufklärungsbeamter im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr eingesetzt war, gilt folgende Überlegung: Der Beamte war bereits vor der Protestakton in die Gruppe eingeschleust worden und hatte sich dort Zugang zu Informationen verschafft. Die Einsatzleitung für den Castoreinsatz lag bei der Bezirksregierung Lüneburg. Wenn die Polizeibehörde durch Aufklärungstätigkeit im Vorfeld informiert war fragt sich, warum sie keine Maßnahmen zur Verhinderung der Aktion (Gefahrenabwehr) ergriffen hat. Denn so sind die Demonstranten ungehindert in die Situation hineingelaufen.

Im Vergleich zu früheren Ereignissen ist ferner festzustellen, daß die Polizei hier einen deutlich anderen Umgang mit der Öffentlichkeitsarbeit gezeigt hat. Anläßlich von Protesten gegen Castortransporte an den Gleisen sind im vergangenen Jahr zweimal Züge bei der Anfahrt auf Lüneburg für kurze Zeit zum Halten gekommen, darunter bei dem Castortransport am 13.11.01, also auf den Tag vor einem Jahr, ebenfalls ein ICE, ohne daß eine vergleichbare Pressemeldung von der Polizei lanciert worden wäre.

Als Erkenntnis bleibt festzuhalten: Der Einsatz des BGS-Beamten als verdeckter Ermittler war rechtswidrig. Der Beamte hat nicht nur im Vorwege Aufklärungsarbeit innerhalb der Gruppe geleistet, sondern sich auch an der inkriminierten Protestaktion an den Gleisen, die zum Anhalten des ICE führte, selbst aktiv beteiligt.

Die Polizei war über den eingesetzten Beamten in der Lage, sich im Vorfeld über geplante Vorhaben zu informieren. Sie ist nicht zur Unterbindung der Aktion eingeschritten. Die Maßnahmen der vor Ort befindlichen Polizeikräfte betrafen vielmehr die anschließende Festnahme und strafrechtliche Verfolgung der Demonstranten.

Ein bemerkenswerter Umstand erscheint in diesem Zusammenhang weiterhin, daß die Polizeibehörde bereits kurz nach der Aktion gegen 13.00 Uhr in der Lage war, eine Presseerklärung (mit drastischen Formulierungen und unrichtigen Tatsachenangaben) über die nach ihrer Version lebensgefährliche ICE-Blockade durch Anti-Castor-Demonstranten zu verbreiten.

Aufgrund der Umstände erscheint es nicht glaubhaft, wenn die Polizei nicht Bescheid gewußt haben will. Erinnerungen an das Celler Loch sind unvermeidlich.

Lüneburg, den 26.11.2002

- Plener -
Rechtsanwalt